Foto: © Matze Steinbach

Freie Dokumentarfotografie versus Bildjournalismus im Auftrag

Vortrag und Interview mit Matthias Steinbach

Nein, als Fotoreporter möchte sich Matthias Steinbach nicht titulieren lassen. Auch wenn er in den vergangenen Jahrzehnten schon zahllose Bildaufträge von Verlagen und Medienunternehmen in vielen Ländern dieser Erde umgesetzt hat. „Ich bin Dokumentarfotograf.“ Und für dieses Genre, genauer für Sozialfotografie/Dokumentarfotografie, ist der 53-jährige gebürtige Bielefelder neben seinem fotografischen Tun seit 2013 als Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Potsdam tätig.

Ostwestfalen, das waren für Matthias Steinbach jedoch nur die ersten acht Jahre seines Lebens. Danach zog er mit seiner Familie nach Balingen, beendete hier auch die Grundschule, ehe er aufs Balinger Gymnasium wechselte. Doch die Stadt an der Eyach wurde für ihn in jenen Jugendjahren nicht nur geografisch zur zweiten Heimat, sondern auch im fotografischen Sinn.

„Das fotografische Virus infizierte mich mit 15 Jahren“, erinnert sich der unverheiratete Vater einer Tochter. Seinerzeit sei er fast täglich im Jugendhaus „Insel“ im Fotolabor gewesen. „Man könnte auch sagen, dass die Dunkelkammer in diesen Jahren so etwas wie meine erste Heimat war.“

Die Dunkelkammer, die längst Geschichte ist. So wie inzwischen die komplette „Insel“, was Matthias Steinbach sehr bedauert. Wenngleich er bei regelmäßigen familiären Besuchen an der Eyach festgestellt hat, „dass die Stadt ein tolles Gartenschaugelände auf die Beine gestellt hat“.

Doch zurück zu seinem Werdegang, der ihn noch zur Schulzeit mit 18 Jahren als freien Mitarbeiter im Bereich (Sport-)Fotografie zum Zollern-Alb-Kurier geführt hat. Es folgten der Zivildienst im Zollernalb-Klinikum, damals noch Kreiskrankenhaus Balingen, und anschließend mehrere Reisen über Monate nach Neuseeland beziehungsweise Australien mit dem Schwerpunkt Tasmanien.

1995 zog es Matthias Steinbach nach Berlin. Er nahm ein Studium Soziale Arbeit / Sozialpädagogik auf, ohne dabei die Fotografie aus den Augen zu verlieren. „Mein Studienfokus lag ab dem Hauptstudium auf sozialdokumentarischer Fotografie.“ Folgerichtig schrieb er seine Diplomarbeit zum Thema „Wirksamkeitsdiskurs und Ethik in der sozialdokumentarischen Fotografie“.

Sein erstes fotografisches Langzeitprojekt, das gleichzeitig als Studienpraktikum angelegt war, absolvierte er im Jahr 1999 in Nicaragua. Nach dem Studium arbeitete er seit 2001 als Sozialpädagoge „mit durchgängiger Möglichkeit Auszeiten zu nehmen, die auch über Monate andauern konnten, um fotografische Themen zu bearbeiten“, wie er betont.

Die Schwerpunktthemen seiner Fotografie lagen damals in Mittelamerika, Russland, Indien und Afrika (neun afrikanische Länder). Seit 2015 aber auch in Berlin, wo er Flüchtlingsprojekte fotografisch begleitet. Apropos Berlin: Wie ein roter Faden zieht sich seit Studiumsende die „Street Photography“ in der Hauptstadt durch sein fotografisches Gesamtwerk.

Die Sozialpädagogik hat Matthias Steinbach in all den Jahren aber keineswegs an den berühmten Nagel gehängt. Seit 2010 ist er Leiter einer stationären Suchthilfeeinrichtung für Jugendliche in Berlin-Kreuzberg. Inzwischen habe man auch einen Stellvertreter eingestellt, damit er weiter umfassend fotodokumentarisch im Ausland arbeiten kann. Seine Arbeit umfasst dabei viele kleine Projekten weltweit aber auch Aufträge großer Agenturen.

In der Vergangenheit hat Matthias Steinbach Projekte der Ländervertretungen Frankreich, Spanien, Belgien und Japan von Ärzte ohne Grenzen, des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, der UN-Blauhelme und von Misereor fotografisch dokumentiert.

Für den Senat Berlin, Referat Jugend, entstand in den Jahren 2015 bis 2018 eine  Langzeitdokumentationen über Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Irak, die ihren  Abschluss in der Teilnahme an der Ausstellung derDeutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit hatte. Titel: „Vom Weggehen und Ankommen“.

Neben weiteren eigenen Ausstellungen im Raum Berlin/Potsdam hat Matthias Steinbach seine Bilder in den vergangenen Jahren auch einem internationalen Publikum präsentiert. Unter anderem in Japan, Äthiopien, Kenia und der Somaliregion. „Dabei ist es mir immer wichtig, dass ich für meine Arbeit viel Zeit vor Ort habe, meine Auftraggeber sich darauf einlassen, dass ich nicht einfach irgendwohin komme, mich dort einige Tage aufhalte, meine Bilder mache und dann wieder verschwinde.“ Denn genau dieses Verweilen, das sich auf die Menschen, auf die Gesellschaft vor Ort Einlassen, unterscheidet für den Berliner Fotografen die Dokumentarfotografie von reinem Fotojournalismus in Kriegs- und Katastrophenregionen.

Welche Freude, aber auch welche persönliche Belastung die Dokumentarfotografie mit sich bringt, wird Matthias Steinbach am 4. August um 19.30 Uhr in der Balinger Zehntscheuer im Gespräch mit Moderator Thomas B. Jones erzählen. Titel: „Freie Dokumentarfotografie versus Bildjournalismus im Auftrag“. Arbeitsbeispiele, Dynamik und ethische Fragen im Bereich der Reportagefotografie. (Klaus Irion)

Moderation: Thomas B. Jones.

Eintritt 7 Euro (Tickets vor Ort).

04.08.2023 19:30 Uhr

Zehntscheuer Balingen

World Press Photo Exhibition 2023

20.07.-13.08.2023

Stadthalle Balingen, Hirschbergstraße 38, 72336 Balingen

Foto: Mediavanti

Digital Storytelling.

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